Drüber nachgedacht: Nackte Beine im Herbst

Die Strumpfhose ist tot! Das prognostizierte noch so manche Modedame Mitte des letzten Sommers. Und tatsächlich, selten schienen die Labels und Streetstyle-Ikonen dieser Welt sich so einig zu sein, wie in dem Punkt, dass nackte Beine zum Rock, zur Shorts und zur Culotte um einiges besser aussehen, wenn sie nicht unter dünnen Nylonstoff verborgen sind. Ich will ihnen darin nicht einmal widersprechen. Nach Jahren der persönlichen Verweigerung, die eigenen Beine ohne einen Hauch Stoff in der Öffentlichkeit zu präsentieren, genieße ich seit etwa zwei Jahren wieder das Gefühl von Luft und Sonne auf der blanken Haut. Mal ganz davon abgesehen, dass man so nicht ständig ein Auge drauf haben, dass das empfindliche Mimöschen von Strumpfhose sich bei der nächstbesten Gelegenheit aus dem Staub macht und ein Schlachtfeld aus Laufmachen hinterlässt.

So weit so gut. Alles könnte schön sein. Das blöde an der Sache ist nur eines: Inzwischen ist es Herbst und mit ihm sinkende Temperaturen, Schmuddelwetter und allem, was eben sonst noch dazugehört. Trotzdem proklamieren unzählige Lookbooks weiterhin fröhlich das NEIN zur Strumpfhose. & other Stories, Zara, Isabel Marant von teuer bis preiswert, sie alle bestehen darauf und H&M, Mango und Co. pflastern damit sogar die Plakatwände der Großsstädte voll.

Ja, wir wissen es alle, Jahreszeiten gelten in der Modewelt seit jeher als sekundäres Übel – schließlich geht es hier letzten Endes eben doch eher um den schönen Schein. Mode ist nun einmal ein Stück weit Abkehr vom Alltag. Sie kann Ikonen schaffen und sie genauso schnell wieder vernichten. Wer will da schon über den Aspekt des Praktischen nachdenken. Außerdem gibt es wohl so manchen Trick, um Cut-Out-Booties oder den Rollkragenpullover ohne Ärmel auch jetzt noch auszuführen. Doch wie handeln wir das jetzt in Sachen Beine?

Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten. Die erste: Man arrangiert sich mit der Situation und greift schlichtweg zum Nylon – bitte in Schwarz oder dunklem Grau, denn nichts ist unästhetischer als eine hautfarbene Strumpfhose, während man mit buntem Stoff schnell wie die nette Kindergartentante von nebenan wirkt. Dann merkt man nur leider meist sehr schnell, dass der Look, der auf Bild „xy“ eben noch so grandios aussah, mit zusätzlichem Beinkleid irgendwie seinen Charme verliert und ohnehin ist damit meist auch jede Lässigkeit mit einem Mal verpufft. Denn ob man will oder nicht, Nylon, macht den Look oft irgendwie adrett. Bleibt die andere Variante, getreu dem Motto „Nur die Harten kommen in den Garten“: Die Pobacken zusammenkneifen und das Haus ohne den letzten Rest Stoff, der die nackte Haut vom Herbstwetter trennt, das Haus verlassen. Frieren um der Ästhetik Willen, sozusagen. Schließlich lautet ein anderes Sprichwort „Wer schön sein will, muss leiden.“

Doch bekommen wir das hin? Und wollen wir das denn eigentlich überhaupt? Schließlich sind wir ja nicht alle, wie die knallharten Britinnen, von denen ich einige bei 3 Grad im März in Flip Flops über die Oxford Street habe huschen sehen. Ihnen scheint jegliche Form der Frostempfindung zu fehlen und mindestens darum beneide ich sie. Die Mehrheit von uns wird nämlich dann doch eher schrecklich frieren, irgendwann wahrscheinlich schlechte Laune bekommen und im schlimmsten Fall anschließend beim im Wartezimmer des Hausarztes hocken, weil Frau sich eine Blasenentzündung eingefangen hat. Ich bin mir sicher der ein oder andere wird an dieser Stelle denken: „Was soll´s! Einfach machen!“ Auch ich hab´ eine Zeit hinter mir, in der ich lieber erfroren wäre, als mich „praktisch“ zu kleiden. In meinem Schrank existiert übrigens auch noch immer relativ wenig, dass mein Vater im traditionellen Sinne, als Wetter adäquate Kleidung bezeichnen würde. Schließlich schlage ich mich mit voller Überzeugung jetzt seit knapp 3 Jahren mit Herbstmänteln auch bei Minusgraden durch. Aber das nur so am Rande.

Wie dem auch sei: Wer sich in diesem Herbst/Winter traut, vor dem habe ich höchsten Respekt. Aber irgendwo hat wohl jeder seine persönliche Schmerzgrenze und meine ist erreicht, wenn ich mir mit dem Schritt aus der Haustür überlegen muss, ob ich für meinen Rock oder mein Kleid Frostbeulen riskiere. So sehr es manchmal nerven mag, manchmal muss man eben einfach drüber stehen und den Trend einen Trend sein lassen. Denn pssst, auch das schönste Streetstyle-Foto ist oft nur gestellt und die Dame vor der Kamera rollt sich zurück in die warme Hose, kaum, dass das letzte Foto im Kasten ist. Da greife ich doch lieber gleich zur bequemen Jeans samt Oversize-Sweater oder gehe eben doch den Kompromiss Strumpfhose ein. Ob das am Ende eher praktisch als ästhetisch gedacht ist, ich maße mich an dieser Stelle nicht an, es zu behaupten.